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DATA & FACTS
KÖPFE-06.05.2024
Zur Person
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Seit 1996 arbeitete Prof. Florian Nagler als selbstständiger Architekt, bis er 2001 mit Barbara Nagler das Büro Florian Nagler Architekten gründete. Seit 2010 leitet er den Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der TU München.

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Wie viel weniger mehr sein kann

Prof. Florian Nagler über sein Forschungsprojekt „Einfach Bauen“

Prof. Florian Nagler über die Erkenntnisse aus „Einfach Bauen“ und das Nachfolgeprojekt, das sich in den kommenden Jahren dem Bestand widmen wird.

Herr Nagler, beim Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ haben Sie nach dem „einfachen, robusten Optimum“ gesucht. Haben Sie es gefunden? Und wenn ja, wie sieht es aus?

Je länger ich mich mit diesen Fragen beschäftige, desto klarer wird mir, dass eines unserer Hauptprobleme unser Wahn ist, alles optimieren zu wollen. Da stecken wir viel Engagement, Ressourcen und Geld hinein. Wenn dann eine Kleinigkeit nicht funktioniert, was im Leben ja vorkommt, kollabiert oft ein ganzes System. Bei unseren Forschungshäusern haben wir daher versucht, eine Lösung zu finden, bei der zwar nicht jeder Teilaspekt optimiert wird, die in der Summe aber robust, dauerhaft, unaufwändig und wenig fehleranfällig ist.

Geht es noch einfacher?

Sicher geht es noch einfacher. Aber kaum, wenn wir unsere gewohnten Standards halten wollen, was Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz et cetera angeht. Da sind wir beim Forschungsprojekt schon an die untere Grenze des derzeit Machbaren gegangen. Ich bin aber überzeugt, dass wir unsere energetischen Ziele einfacher  – oder überhaupt – erreichen könnten, wenn wir unsere sehr hohen Baustandards wieder etwas reduzieren würden.

Wie nehmen die Nutzer*innen die Gebäude und Wohnräume wahr? Hat sich das individuelle Nutzerverhalten auf die Messergebnisse ausgewirkt?

In den Forschungshäusern in Bad Aibling wohnen recht unterschiedliche Menschen, die auch unterschiedlich sensibel sind. Unser Monitoring zeigt, dass das Wärmeempfinden und das Lüftungsverhalten extrem nutzerabhängig sind. Was aber alle Bewohner*innen als besonderen Luxus empfunden haben, sind die großen Raumhöhen von 3,10 m, die das Bedürfnis zu lüften reduziert haben, was in der Folge zu geringeren Lüftungsverlusten geführt hat.

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Forschungshäuser Bad Aibling, Bild: Sebastian Schels

Die Entwicklungen rund um den Gebäudetyp E schreiten voran. Wie stehen Sie zu diesem Fortschritt – was sind die Chancen, aber vielleicht auch Risiken?

Ich begrüße und unterstütze die Initiative sehr! Die Chance wäre, dass der Gebäudetyp E einen echten Innovationsschub ermöglicht. Derzeit sind wir in unserem Netz aus Gesetzen, Vorschriften und Standards gefangen. Das Potenzial, Neues auszuprobieren, ist sehr gering. Als Risiko sehe ich eigentlich nur, dass die Initiative verpufft. Aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert, sich aus der regulativen Umklammerung zu befreien.

Auf „Einfach bauen“ folgt nun logischerweise „Einfach Um-bauen“. Welche Hypothese liegt diesem Projekt zugrunde, was ist das Forschungsziel?

Ziel ist zu zeigen, dass wir – im Hinblick auf Energieverbrauch und Ökobilanz – den Gebäudebestand deutlich unaufwändiger sinnvoll sanieren können, als derzeit praktiziert und gefördert. Wir wollen zeigen, dass wir verantwortlich mit unseren Ressourcen umgehen können, ohne ganz Deutschland in Polystyrol zu hüllen, und wie wir dadurch unser wertvolles baukulturelles Erbe erhalten können.

Können Sie schon verraten, was genau Sie untersuchen werden, um dieses Ziel zu erreichen?

Wir beschäftigen uns derzeit mit Bestandsgebäuden aus unterschiedlichen Dekaden und versuchen Strategien zu entwickeln, die nicht nur für ein Gebäude sinnvoll, sondern im großen Maßstab übertragbar sind. Dabei betrachten wir vor allem CO2-Bilanz und Lebenszykluskosten der verschiedenen Maßnahmen und haben schon einige für uns überraschende Erkenntnisse gewonnen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Inwieweit leben Sie – abgesehen von Ihrer (Forschungs-)Arbeit – den Einfachheitsgedanken bereits selbst?

Ich bin kein Mönch, habe aber keine besonderen Ansprüche. Ich lebe und arbeite in einem umgebauten Haus in München, kaufe nur notwendige Kleidung und bin in meinem Leben bisher nur einmal in den Urlaub geflogen und seit vier Jahren auch nicht mehr beruflich. Wir haben einen schönen Garten – ich bin sehr zufrieden!

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Forschungshäuser Bad Aibling, Bild: Sebastian Schels

6 Regeln zum einfachen Bauen

Auf Basis ihrer Forschung entwickelten Prof. Florian Nagler und sein Team sechs Regeln, die das einfache Bauen und Nutzen von Gebäuden bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt über den gesamten Lebenszyklus möglich machen:

  1. Hüllfläche reduzieren. Bauliche Dichte erhöhen.
  2. Glasfläche der Fenster in einer Größe von 10–15 Prozent der zu belichtenden Raumfläche wählen.
  3. Die thermische Trägheit der Bauteile für das Raumklima nutzen. Nachtlüftung ermöglichen.
  4. Robuste Techniksysteme einsetzen, die das Verhalten der Nutzenden berücksichtigen.
  5. Zukünftige Veränderungen vorbereiten. Die technischen Systeme von der Konstruktion trennen.
  6. Wenige, sortenreine Bauteilschichten zu robusten und langlebigen Konstruktionen fügen.

Quelle: Einfach Bauen, Ein Leitfaden, 2022