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DATA & FACTS
EXKURS-29.04.2024
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Von der Vision zur Praxis

Einfach bauen – das neue Nachhaltig

In der Baubranche etabliert und gern verwendet, eröffnet der Begriff der Nachhaltigkeit einen großen Interpretationsspielraum. Das schafft zwar Platz für Ideen und Visionen, wirft gleichzeitig aber die lähmende Frage auf, wo(mit) man denn nun am besten anfängt. Neben Visionen braucht es daher praxisorientierte Ansätze, die das nachhaltige Bauen konkretisieren.

Ein Ansatz ist das einfache Bauen, das derzeit durch den neuen Gebäudetyp E Fahrt aufnimmt. Von der Bayerischen Architektenkammer entwickelt, soll er einfaches und experimentelles Bauen fördern – zwei ziemlich gegensätzliche Begriffe, die aber eigentlich kaum voneinander zu trennen sind. Architekt*innen und Bauherr*innen wird es durch einfaches Bauen ermöglicht, sich von Normen und Standards zu lösen, die nicht zu den Schutzzielen der Bauordnungen zählen – und zwar zugunsten neuer Bauweisen, die ebenso langlebig wie kreislauffähig sind.

Mehr als ein Materiallager

Wie das gelingen kann, zeigt das Studierendenhaus an der TU Braunschweig. Den Auftrag dafür erhielten die Architekten Gustav Düsing und Max Hacke durch einen fakultätsinternen Wettbewerb.

Ziel war es, ein Gegenmodell zur einseitigen Wissensvermittlung im Hörsaal zu entwickeln. Die beiden setzten auf ein multifunktionales Konzept, das Studierende und Lehrende aller Fachrichtungen in Austausch bringen soll. Abgesehen von einem Versorgungskern gibt es keine festen Wände und Verkehrsflächen, das zweite Geschoss ist als solches kaum wahrnehmbar. Vielmehr handelt es sich um Podeste, die durch Treppen erschlossen werden. Einzelne Zonen lassen sich dank schwerer Vorhänge abtrennen, die zusammen mit den Teppichböden für eine angenehme Akustik sorgen. So ermöglicht das vollverglaste Gebäude Gruppenarbeit, Seminare, Vorträge ebenso wie Momente der Entspannung. Nichts ist klar definiert, stattdessen sollen sich die Nutzer*innen den Raum selbst aneignen.

Möglich wird dies durch eine innovative, filigran anmutende Stahl-Hybridkonstruktion, die Düsing und Hacke mit dem Berliner Ingenieurbüro knippershelbig entwickelten. Das modular geplante Tragwerk lässt sich vollständig demontieren und an einem anderen Ort sowie in anderer Form wieder aufbauen. Auch die Wiederverwendung ganzer Bauteile ist möglich.

Das Studierendenhaus wurde im Januar 2023 fertiggestellt und hat sich in Sachen Aneignung, aber auch hinsichtlich der reduzierten bauphysikalischen und technischen Maßnahmen bewährt. Für den Impuls zu zeitgemäßer Lernlandschaft und Zirkularität, aber auch für seine mutige Experimentierfreude hat das Projektteam bereits erste Auszeichnungen erhalten, darunter den Deutschen Architekturpreis, den DAM Preis sowie die Mies van der Rohe Awards 2024.

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UmBauLabor, Baukultur NRW e.V.; Bild: Tania Reinicke

(Um)Baukultur NRW: Ein Bestand wird zum Reallabor

Im Zuge der sich entwickelnden Umbaukultur tauchen Planende nun auch tief in den Gebäudebestand ein. Sie sanieren, bauen um und erweitern. Dabei ist Experimentierbereitschaft Grundvoraussetzung, wie ein Beispiel in Gelsenkirchen zeigt. Anfang 2023 wurde ein 1902 erbautes Haus durch die Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen erworben, die es wegen bauordnungsrechtlicher Mängel leerziehen musste und aufgrund des Gebäudezustandes abreißen lassen wollte. Noch im selben Jahr jedoch zog Baukultur NRW e.V. als Mieter in das Gebäude ein. Der Verein begleitet und kommuniziert aktuelle, baukulturell bedeutsame Themen aus sämtlichen Disziplinen der Branche.

Das einstige Wohn- und Geschäftshaus ist seither das „UmBauLabor“ und der Name Programm: Bis Ende 2026 wird Baukultur NRW den Bestand unter die Lupe nehmen. Ziel ist nicht die Sanierung des Gebäudes. Hauptanliegen ist sein möglicher Erhalt. Dazu werden zunächst das Gebäude und seine Bedeutung für das Viertel, die Gebäudesubstanz und Bauteile analysiert und bewertet. Alle Informationen rund um Weiter- und Wiederverwendungsmöglichkeiten bilden dann die Grundlage für den selektiven Aus- und Rückbau. Darüber hinaus soll eine Umverteilung von Ressourcen stattfinden: In Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen werden sie weitergegeben, für die eigene Nutzung eingelagert oder nach ihrer Aufarbeitung neu verbaut. In den Räumlichkeiten wurden hierfür vorübergehend eine kleine Werkstatt und ein Materiallager eingerichtet. Das Erdgeschoss dient als Infozentrum und Veranstaltungsort. Dass es in dem historischen Gebäude in den kommenden Jahren nicht nur um Ressourcen und Kreislaufwirtschaft, sondern auch um seine immaterielle Bedeutung geht, macht bereits ein großer Schriftzug an der Fassade klar: „Wie viel Wert steckt in diesem Haus?“

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Florian Nagler: Einfaches Bauen im Test

Nicht mehr aus den Entwicklungen rund um einfaches Bauen wegzudenken ist Prof. Florian Nagler. Ausgehend von der Komplexität, die Konstruktionen wie Gebäudetechnik beherrscht und zu immer mehr Überforderung bei Bauherren, Architekt*innen und Nutzer*innen führt, initiierte er die Forschungsgruppe „Einfach Bauen“ an der TU München. Auf Basis mehrjähriger Forschung mit zahlreichen digitalen Simulationen entwickelte das Team einen Leitfaden, der sechs Regeln benennt. In Kombination miteinander machen sie ein einfaches Gebäude aus. Dazu zählen etwa die Reduktion von Hüllfläche und Technik, eine schwere Bauweise sowie eine Konstruktion auf Basis der Materialeigenschaften. Um die Erkenntnisse aus der Theorie zu prüfen, errichteten sie auf dem Gelände der B&O-Gruppe – gleichzeitig auch Bauherrin – drei Wohnhäuser. Sie unterscheiden sich durch die Materialien, die für den monolithischen Wandaufbau zum Einsatz kommen: Massivholz, Leichtbeton und hochwärmedämmendes Mauerwerk.

In der folgenden zweijährigen Langzeitmessung wurden Energieverbrauch, Raumklima und das Verhalten der Nutzer*innen ermittelt. So wirkte sich die thermische Masse des Leichtbetonhauses am positivsten auf den Raumkomfort aus. Das Massivholzhaus dagegen neigte als etwas leichtere Bauweise im Sommer zur Überhitzung, lag jedoch noch im Komfortbereich. Das Mauerwerkshaus schnitt in noch leerstehendem Zustand hinsichtlich Raumluftfeuchte am besten ab. Ein Aspekt mit wesentlichen positiven Auswirkungen, den die Forschenden im Vorhinein nicht berücksichtigt hatten, war die Verschattung durch Bäume und benachbarte Gebäude. Die Nutzerbefragung ergab in diesem Zusammenhang eine große Wirkung auf den thermischen und visuellen Komfort.

Nach Abschluss des Forschungsprojektes blickt das Team der TU München wieder in die Zukunft: Auf „Einfach Bauen“ folgt nun „Einfach Um-bauen“.

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