Teilnehmende
- Prof. Fabienne Hoelzel, Lehrstuhl für Entwerfen und Städtebau, ABK Stuttgart
- Prof. Dr. Martin Düchs, Lehrstuhl für Geschichte und Theorie von Design und Architektur, NDU St. Pölten
- Prof. Dr. Stefan Greiving, Leiter des Instituts für Raumplanung, TU Dortmund
- Christian Poprawa, Direktor Marketing Saint-Gobain Weber
- Peter Theissing, Geschäftsführer KS-Original
- Dr. Tania Ost, Moderation
Eine Veranstaltung der Initiative Wertvolle Wand
Rethink: Umdenken im Bauwesen
In einer Zeit der ökologischen und gesellschaftlichen Veränderungen steht auch das Bauwesen vor der Herausforderung, sich neu zu definieren. „Rethink“ lautete daher der Titel des ersten Round Table der von Saint-Gobain Weber und KS-Original ins Leben gerufenen Initiative „Wertvolle Wand“. Die Teilnehmenden stellten sich der Frage, wie sich die Zukunft des Bauens klimaresilient, sozial gerecht und wertvoll gestalten lässt, und suchten gemeinsam nach Lösungsansätzen.
Zunächst warfen die Teilnehmenden einen Blick auf globale und nationale Herausforderungen und Zusammenhänge, die im Sinne eines wertvolleren Bauens eines „Rethink“ bedürften. So träfen etwa veraltete Denkmodelle und Wertesysteme auf komplexe Ausgangslagen und Interessenkonflikte, die durch die Klimakrise und die begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten weiter verschärft würden. Wertevorstellungen und Gewohnheiten seien überwiegend auf Wachstum, Komfort und Sicherung des eigenen Wohlstands ausgerichtet. „Der Blick auf die Gemeinschaft ist verloren gegangen – und mit ihm die Eigenverantwortung“, bringt Christian Poprawa es auf den Punkt.
Ungleiche Verteilung von Wohnraum und Ressourcen
Eine gerechte Verteilung des Raumes und der endlichen Ressourcen sei auch in Deutschland von großer Bedeutung. Bereits hier sei der Wohnraum ungleich verteilt. Es sei an der Zeit, sich von starren Maßstäben für wirtschaftliche Tragfähigkeit zu verabschieden, die für alle Regionen gleich hoch angelegt werden. Denn dies führe zu sozialen und politischen Unruhen sowie einem noch stärkeren Stadt-Land-Gefälle.
Peter Theissing plädierte dafür, abgelegene ländliche Regionen besser anzubinden und dort neue Qualitäten durch Neu- und Umbau zu schaffen. Auch die Frage des Ressourcenverbrauchs – wo werden Ressourcen erzeugt, wo werden sie verbraucht – müsse angegangen werden. Dies könnte nicht nur zu einer ausgewogeneren Verteilung beitragen, sondern auch ökologische und soziale Vorteile mit sich bringen.
Christian Poprawa, Saint-Gobain Weber
Die Lösungsansätze müssen pluralistischer und diverser werden und stärker auf die regionalen Gegebenheiten eingehen, wie es traditionelle Bauweisen schon immer tun. Gegen Überhitzung beispielsweise helfen nicht nur Klimaanlagen, sondern auch dickeres und massiveres Mauerwerk in Kombination mit Kalkputzen und Begrünung. Holzbauweisen sind in waldreichen Gegenden ein guter Ansatz, werden aber nicht den Bedarf in Großstädten decken können. Die Leichtbauweise spart Ressourcen, dem gegenüber steht die wesentlich längere Lebensdauer von massiven Bauweisen. Es gibt nicht den einen Ansatz, der alles lösen wird. Daher plädieren wir bei Saint-Gobain Weber für ein Nebeneinander verschiedener Bauweisen unter jeweiliger Abwägung der Gegebenheiten.
Peter Theissing, KS-Original
Umdenken benötigt einen radikalen, zukunftsgerichteten Bewusstseinswandel und zugleich eine Rückbesinnung auf Bewährtes, um schnellstens zu einer neuen Einfachheit zu kommen. Der Gebäudetyp-e, der durch reduzierte Standardnormen und vereinbarte Schutzziele zum Umdenken in der Branche anregen soll, ist so ein Ansatz für zukunftsfähiges und vereinfachtes Bauen. Denn wertvoll wird in Zukunft das sein, was einfach ist.
Ganzheitliche Bedarfsplanung für mehr soziale Gerechtigkeit
Mit dem Instrument einer feministischen Stadtplanung, die, basierend auf dem Gender Planning, die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen berücksichtigt und sozial gerecht gestaltet ist, ergäben sich große Potentiale für die Nutzung und Gestaltung des öffentlichen Raumes, bezogen auf die Stadt, das Umland und die ländliche Region, führte Architektin und Stadtplanerin Prof. Fabienne Hoelzel an.
Noch würde zu sehr die konservative, konventionelle Kleinfamilie betrachtet. Stattdessen könnte auf Basis einer feministischen Stadtplanung eine ganzheitliche Bedarfsplanung entstehen, die von städtebaulichen Maßstäben bis hin zur einzelnen Gebäudeebene reicht und „den Menschen mehr in den Fokus rückt“, fügte Architekt und Philosoph Prof. Dr. Martin Düchs hinzu.
„Rethink“ gelungen: Beispiele für zukunftsfähige Stadtplanung
Als Vorbilder für eine zukunftsfähige Stadtplanung wurden von den Teilnehmer*innen Barcelona und Paris genannt, ebenso wie Konzepte für Urban Gardening und Urban Farming. Mit solchen positiven Visionen und Erzählungen könne der Angst vor Veränderung am besten begegnet werden, um neue Lebens- und Wohnmodelle sowie innovative Technologien in Bewegung zu bringen. Begleitet werden sollten diese Veränderungsprozesse durch eine gut gesteuerte Kommunikation mittels Verfahrensformen wie beispielsweise Bürgerbeteiligungen, die den Betroffenen und Entscheidungsträgern die Themen erläutern und ihre Bedürfnisse erfragen. So können die Planenden anschließend entsprechend absichtsvoll handeln und gestalten.
Prof. Fabienne Hoelzel über feministische Stadtplanung
Mehr zulassen!
Ein weiterer Lösungsansatz bestehe in der Deregulierung und dem Verzicht auf einheitliche ordnungsrechtliche Vorgaben, die bisher bundesweit nach dem Prinzip „one size fits all“ über völlig unterschiedlich leistungsfähige Regionen hinweg durchgesetzt werden. Gefragt seien stattdessen räumlich und milieuspezifisch differenzierte und verhältnismäßig effiziente Lösungen, die Raum für lokale Entscheidungen und Verantwortung lassen. Noch führe die Vielzahl von Gesetzen, Normen und Vorschriften in Deutschland dazu, dass kaum ein Entscheider aus dieser Sicherheit ausbrechen wolle.
Der Grundgedanke des „Mehr Zulassens“ wurde von allen Teilnehmenden deutlich befürwortet. „Regionalität ist auch ein wesentliches Attribut der Einfachheit. Eine Deregulierung würde den Weg für eine regional sinnvolle Nutzung von Ressourcen und erneuerbaren Energien ebnen und gleichzeitig eine Rückbesinnung auf traditionelle und regionale Bauweisen ermöglichen“, sagte Christian Poprawa und fügte hinzu: „Wir dürfen aber auch Ästhetik und Komfort nicht außer Acht lassen. Ohne diese Attribute bleibt die Akzeptanz von Gebäuden nicht lange erhalten.“
Letztlich ginge es auch um die Betrachtung der Verhältnismäßigkeit, insbesondere beim Bauen im Bestand. Investitionen und Fördermittel seien zielgerichteter in pragmatische Verbesserungen, die mit vertretbarem Aufwand umgesetzt werden können, als in teure und abschreckende Maßnahmenpakete investiert. „Gerade vor dem aktuellen Hintergrund der Energiewende und des Gebäudeenergiegesetzes vertrete ich die Position, dass es hinsichtlich des Ressourcen- und Energieeinsatzes oft sinnvoller sein kann, energetisch suboptimale Gebäude weiter zu nutzen und nicht unbedingt immer aufwendig energetisch zu sanieren“, erläuterte Greiving.
Prof. Dr. Stefan Greiving
Im Sinne des mehr Zulassens, der Entbürokratisierung und des kosteneffizienten Bauens sollten nach einer Art Leitplankenmodell unterschiedliche Standards definiert werden, und zwar in unterschiedlichen Räumen, die unterschiedliche Entwicklungsimpulse benötigen.
Zurück zu mehr Eigenverantwortung
In der praktischen Umsetzung des besagten Umdenkens – des „Rethink“ – spielen die Eigentümer*innen und Grundstücksbesitzer*innen sowie die Bauherren eine entscheidende Rolle. Ebenso sind es die Vertreter*innen von Bund, Land und Kreis, die verstärkt in die Pflicht genommen werden müssen. „Es ist wichtig zu betonen, dass die Architekt*innen und Planenden zwar Ideengeber, aber nicht die alleinigen Entscheidungsträger sind“, sagte Fabienne Hoelzel. Vielmehr sollten sie als Impulsgebende fungieren und die Basis für einen breiten Dialog schaffen.
Um ein Umdenken und damit einen Wandel in der Baubranche voranzutreiben, sei es entscheidend, unser bisheriges Wertesystem und Gewohnheiten zu hinterfragen, fassten die Teilnehmenden zusammen. „Was wollen wir? Wo wollen wir hin? Wie wollen wir in Zukunft leben?“ seien die grundlegenden Fragen, die es als Individuum und als Gesellschaft zu beantworten gelte. „Letztlich sind unsere Gebäude und Städte die Kristallisationspunkte, an denen sich unsere Werte offenbaren. Architektur ist somit das steinerne Zeugnis unserer Wertvorstellungen“, resümierte Düchs.