Das neue CAS Repair and Maintenance der ETH Zürich legt den Schwerpunkt auf die nachhaltige Weiterbildung von Fachpersonen im Umgang mit industriell und seriell gefertigten Bauteilen des Gebäudebestands.
DATA & FACTS
KÖPFE-10.11.2025
Zur Person
Silke Langenberg ist eine deutsch-schweizerische Architektin und Denkmaltheoretikerin.

Silke Langenberg ist eine deutsch-schweizerische Architektin und Denkmaltheoretikerin. Seit 2020 ist sie ordentliche Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege am Departement Architektur der ETH Zürich.

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Von der Theorie zur Praxis

Mehr als ein Flickwerk

Ein Gespräch mit der Professorin Silke Langenberg über den CAS ReMain (Repair & Maintenance) und die Bedeutung der Reparaturkultur und des Lebenszyklus im Bauwesen

Frau Langenberg, was hat Sie dazu bewegt, ein Weiterbildungsprogramm zum Thema Reparieren aufzusetzen?

Wir haben festgestellt, dass viele Bauteile und Systeme vorschnell ersetzt werden, obwohl sie noch nicht am Ende ihres Lebenszyklus sind. Gerade bei jüngeren Beständen mit industriell gefertigten Fassaden oder haustechnischen Anlagen ist das Problem systemisch: Versagt ein Teil, ist die ganze Serie direkt oder indirekt betroffen. Entweder, weil tatsächlich alle Teile gleichzeitig ausfallen oder aber, weil alle gleichzeitig ausgewechselt werden, obwohl nur einzelne versagen. Oft wissen die Planenden auch nicht, ob es für diesen speziellen Fall schon ein Reparaturkonzept gibt. Dafür bräuchte es Plattformen, auf denen dieses Wissen geteilt wird. Der CAS ReMain soll Architektinnen und Architekten befähigen, Reparatur als ernsthafte Option zu verfolgen – auch jenseits denkmalgeschützter Objekte.

Das klingt nach einer neuen Verantwortung für die Planenden.

Oder auch nach einer alten. Es reicht nicht, auf die Industrie zu zeigen. Architektinnen und Bauherrschaften müssen von Anfang an und auch bei Neubauten die Reparaturfähigkeit mitdenken. Früher war das ganz normal. Wir sensibilisieren dafür, dass Konstruktionen wartungsfreundlich und nachrüstbar gestaltet werden. Gleichzeitig arbeiten wir mit Herstellern zusammen, die zirkuläre Produkte entwickeln, etwa Aufzugssysteme, die nicht komplett ausgetauscht, sondern gezielt ertüchtigt werden und bei denen auch der Austausch einzelner Komponenten möglich ist.

Viele Gebäude aus den 1980er- und 1990er-Jahren kommen nun ins Sanierungsalter. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen mit Blick auf den Lebenszyklus von Gebäuden?

Vor allem bei technischen Steuerungen. Nichts veraltet so schnell wie Technologie. Bei einer unserer Fallstudien aus Zürich beispielsweise fließt jedes Jahr sehr viel Geld in den wiederkehrenden Austausch defekter Komponenten einer Fassadensteuerung. Da ist es doch sinnvoller, eine systemische Lösung zu entwickeln. Das braucht aber Zeit und damit Vorinvestitionen.

Problematisch ist zudem, dass Hersteller oft Lebenszyklen von 30 Jahren angeben, obwohl die Bauteile sehr wohl länger funktionieren würden. Hierzu ist es notwendig, die Objekte regelmäßig zu warten (also Maintenance) oder eben zu reparieren. Das war früher normal. Heute sieht man es vor allem in wirtschaftlich schwächeren Regionen der Welt: Dort wird oft so lange repariert wie irgend möglich. In einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft denkt leider kaum noch jemand über Möglichkeiten der Reparatur nach, sondern bringt sofort den Austausch auf den Weg.

Welche Rolle spielt dabei der rechtliche Rahmen?

Gewährleistungsfristen und mangelnde Wartungsmodelle verhindern oder erschweren oft Reparaturen. Warum gibt es für Bauteile nicht so etwas wie einen „Care & Protection Plan“ wie bei Computern oder Autos? Interessant sind auch Modelle, bei denen etwa Fassaden geleast und kontinuierlich gewartet werden. Das gleiche gibt es auch für Küchengeräte. Dieses Finanzierungsmodell könnte den Einbau höherwertigerer Produkte ermöglichen und die Nutzung verlängern. Gleichzeitig darf das zirkuläre Bauen nicht als Vorwand dienen, um Bestände leichtfertig abzubrechen, frei nach dem Motto: Der Neubau wird zirkulär, da kann das Alte ruhig weg.

Sie sprechen den Abrissdruck an – gerade bei Bauten der 1960er- und 1970er-Jahre.

Die Gebäude dieser Jahrzehnte sind häufig flexibel und für Anpassungen vorgesehen. Statt sie vorschnell abzureißen, könnte ihr Potenzial genutzt werden. Der Abbruch hat nicht nur ökologische, sondern auch soziale Folgen: Verdrängung, Verlust von Gemeinschaften. Reparatur kann hier auch Stadtreparatur bedeuten – also Weiterbauen mit den Menschen und für sie.

Welche Motivation bringen die Teilnehmenden des CAS ReMain mit?

Die meisten kommen aus der Architektur und interessieren sich für Nachhaltigkeit und Bauen im Bestand jenseits der Schutzobjekte. Einige Teilnehmende kommen aber auch aus großen Immobilienabteilungen und suchen Argumente gegenüber Bauherrschaften. Manche verfolgen konkrete Projekte aus ihrer Arbeitspraxis, wie etwa: „Müssen wirklich 200 Schulküchen komplett ausgetauscht werden, obwohl sie eigentlich noch immer neuwertig scheinen?“ Der Kurs vermittelt nicht nur Fachwissen zu Stoffkreisläufen, Ökonomie und Recht, sondern auch Methoden, wie man Reparaturstrategien entwickelt und in die Praxis beziehungsweise die Bauindustrie bringt.

Das neue CAS Repair and Maintenance der ETH Zürich legt den Schwerpunkt auf die nachhaltige Weiterbildung von Fachpersonen im Umgang mit industriell und seriell gefertigten Bauteilen des Gebäudebestands.

Wie funktioniert das konkret?

Die Teilnehmenden bearbeiten Modellprojekte, begleitet von Lehrenden und Industriepartnern. Es geht darum, eine konkrete Lösung zu entwickeln – im besten Fall bis zur Umsetzung oder sogar Gründung eines StartUps. Ergänzt wird das Programm durch Exkursionen, Inputs zu ökologischen und ökonomischen Fragen sowie rechtlichen Aspekten. Wichtig ist uns auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit: Maschinenbauer, Designerinnen und Studierende aus dem Bauingenieurbereich bringen unterschiedliche Perspektiven ein. Nur so entstehen innovative und auch tragfähige Konzepte.

Gibt es Bauaufgaben, die sich besonders gut oder besonders schlecht für Reparaturen eignen?

Besonders geeignet sind die unter Verwendung industrieller Bauprodukte errichteten Bestände der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schwierig wird es, wenn soziale Rahmenbedingungen wie Konflikte im Quartier die eigentliche Bauaufgabe überlagern. Aber auch dort können Reparaturkonzepte Teil einer größeren städtebaulichen Strategie sein. Spannend ist zudem die Rolle neuer Technologien: Mit Hilfe der digitalen Fabrikation lassen sich Ersatzteile produzieren, die ganze Objekte retten können.

Kritiker sagen, Reparieren sei nur eine Übergangslösung. Was entgegnen Sie?

Manchmal ist schon die von John Ruskin vorgeschlagene „Krücke“ genau das Richtige – Hauptsache, der  Lebenszyklus wird verlängert. Natürlich muss man aber abwägen, wann Reparaturen sinnvoll sind und wann nicht. Aber die pauschale Haltung „Ersatz ist einfacher und kostet weniger“ führt zur unnötigen Verwendung von Ressourcen. Wir brauchen eine Kultur der Reparatur, die sich nicht als Notlösung, sondern als qualitätssichernde Maßnahme  begreift.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass Architektinnen und Architekten von Beginn an reparaturfähig planen und bauen. Dass Bauherrschaften Anreize erhalten, bestehende Substanz zu erhalten. Und dass die Gesellschaft erkennt: Reparieren ist mehr als Flickwerk – es ist ein Schlüssel zu nachhaltigem Bauen. Genau dafür wollen wir mit dem CAS ReMain sensibilisieren.

Mehr Infos zum Studiengang

Das Anmeldefenster für die nächste Weiterbildungsrunde ab Februar 2026 ist noch bis 30.11. geöffnet: Einreichungen sind direkt über das Bewerbungsportal der ETH Zürich möglich.