DATA & FACTS
KÖPFE-24.11.2023
Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Karsten Tichelmann ist studierter Bauingenieur und Gründer eines Planungsbüros mit inzwischen über 30 Mitarbeiter*innen. Darüber hinaus ist er Professor für Tragwerksentwicklung und Bauphysik an der TU Darmstadt sowie Leiter des Instituts für Leichtbau, Trockenbau und Holzbau (VHT). Außerdem engagiert er sich als Vorstandsvorsitzender des Fördervereins der Bundesstiftung Baukultur.

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Großes Potenzial, zögerliche Aktivierung

Prof. Dr.-Ing. Karsten Tichelmann über die Deutschlandstudie, Potenziale der Aufstockung und die Gefahren der Flächenversiegelung.

Sie sind als Vertreter der TU Darmstadt  Herausgeber der Deutschlandstudie. Können Sie zusammenfassen, worum es geht und was die Intention dahinter ist?

Der Ursprung liegt in einer Monitoringstudie, die wir schon seit 2002 durchführen. Was wir damals beschrieben haben, war ein diametrales Problem: In einigen Gegenden ein enormer Druck auf den Wohnungsmarkt und zugleich ein hoher Leerstand in anderen Teilen des Landes. Diese Situation hat sich seitdem verschärft und führt in vielen Regionen zu einer hohen Belastung. Wir wollen dazu beitragen, dass Wohnungen da zur Verfügung gestellt werden, wo sie wirklich benötigt werden, und außerdem Strategien finden, die jenseits des klassischen Neubaus für Entspannung sorgen können.

Anfang 2016 ist die Studie dann zum ersten Mal erschienen, 2019 ein zweites Mal. Inzwischen sind wir vier Jahre weiter. Was hat sich in Deutschland bis heute getan?

Nach offiziellen Angaben wurden jedes Jahr 250.000, seit 2019 insgesamt also etwa eine Million Wohnungen gebaut. Warum haben die nicht merklich zur Sättigung beigetragen? Weil die neuen Siedlungen vorwiegend durch Umwidmung von Ackerland im Umland großer Städte entstanden sind. Hier werden dann nach wie vor viel zu viele Einfamilienhäuser oder sogar Investorenwohnungen gebaut, die leer stehen. Nebenbei entstehen neue Pendlerströme, und Ackerland weicht dauerhaft zugunsten versiegelter Flächen und damit einer enormen CO2-Quelle. Politisch wird das leider nach wie vor forciert – nach unserer Erfahrung über alle Parteigrenzen hinweg.

Im Vergleich „Abriss und Neubau“ versus „Bestandserhalt und Umbau bzw. Aufstockung“ wird Ersteres oftmals als einfacher und günstiger beschrieben. Ist dem tatsächlich so?

Ja und nein. Einerseits gibt es etwa bei Aufstockungen nach wie vor bauordnungsrechtliche Hürden. Wenn man in der Großstadt für jede neue Wohnung Stellplätze nachweisen muss, erschwert das natürlich jedes Vorhaben, obwohl es an der Lebensrealität der potenziellen Bewohner*innen vollkommen vorbeigeht. Davon abgesehen sind viele Bauunternehmen auf solche Maßnahmen noch nicht eingestellt. Wenn darunter gewohnt wird, kann ich verständlicherweise nicht mauern oder betonieren. Da braucht es einen Wandel hin zu anderen Strategien und Materialien, die leicht sind und einen hohen Vor-fertigungsgrad ermöglichen.

Andererseits ist der Abriss von bewohnten Bestandsgebäuden auch mit hohen Hürden verbunden. Eine Entmietung ist nicht einfach und vor allem sozial unverträglich. Außerdem entstehen Kosten für den Rückbau selbst sowie für die Entsorgung.

Neben dem Wohnraummangel in unseren Städten sind auch die Mieten ein großes Problem. Wie würde sich die oben genannte zweite Strategie auf die Mietpreise auswirken?

Grundsätzlich ergibt sich der Mietpreis ja immer aus Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot größer wird, stellen sich Woh-nungen überhaupt erst dem Wettbewerb. Darüber hinaus sind Aufstock-ungen sehr dankbar, weil die Fläche ja schon vorhanden ist, man den Baulandpreis also nicht mehr auf die Bauentstehungskosten umlegen muss. Auch die vorhandene Infra-struktur – Erschließungskerne, Versorgungsleitungen und Ähnliches – kann im Normalfall weitergeführt und mitgenutzt werden, was Kosten und Ressourcen spart.

Nun haben Sie die Studien ja eigentlich erstellt, um die Politik zu erreichen. Wie lässt sich dieses Thema – und nicht zuletzt seine Dringlichkeit – an Kommunen und private Hausbesitzer vermitteln, die damit noch nicht vertraut sind?

Um überhaupt Interesse zu wecken, stellen sich natürlich Fragen bezüglich der steuerlichen Förderung. Dabei geht es mir gar nicht um eine weitere Subventionierung. Es würde ja reichen, wenn man bei den Abschreibungsmöglichkeiten ansetzt. Bei neuem Wohnraum liegt der Satz für die Absetzung für Abnutzung bei zwei Prozent, der Zeitraum entsprechend bei 50 Jahren. Hier wäre es doch sinnvoll, den Satz zu erhöhen und die Zeiträume zu verkürzen, wenn man davon ausgeht, dass das zugrunde liegende Bestandsgebäude schon deutlich älter ist. Das wäre dann vor allem für Wohnungseigentümergemeinschaften interessant. Ich denke da zum Beispiel an neu geschaffenen Wohnraum, mit dem sich Gemeinschaftskosten für die Instandhaltung oder Hausverwaltung finanzieren lassen, wodurch eine Rendite entsteht.