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EXKURS-01.05.2022
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Über Mut, Visionen und Durchhaltevermögen

Perspektivwechsel: Architektur auf dem Land

Wird über regionale Baukultur berichtet, so geschieht das häufig anhand von Projekten, die das ländliche Baugeschehen mit der Umsetzung neuer Lebensentwürfe in Verbindung bringen. Kritiker dieser „Landromantik“ bemängeln, dass die Ideen meist aus der Stadtperspektive entstünden und weder die Realität abbildeten noch zur ländlichen Entwicklung beitrügen. Umso wichtiger sind in diesem Kontext Akteur*innen, die aus der Landperspektive denken und sich mit Mut, Kreativität und viel Durchhaltevermögen für den Erhalt und die Weiterentwicklung regionaler Architektur einsetzen. Wir beleuchten drei Beispiele.

Mit seiner Landwirtschaftszählung im Jahr 2020 verzeichnete das Statistische Bundesamt binnen zehn Jahren einen Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe um 13 Prozent. Für viele Bauernhäuser, Scheunen und andere Nutzgebäude bedeutet dies den Leerstand. Höfe, die einst Ortskerne prägten, verfallen oder weichen gesichtslosen Zweckbauten. Ausgehend von dieser Problematik zeichnet der Landbaukultur-Preis alle zwei Jahre Projekte aus, die dem Grundsatz folgen, „das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden“, und regt damit zu einem fruchtbaren Dialog zwischen Landwirtschaft und Architektur an.

Beispiel 1

Wiederbelebung eines Hofensembles
Einer der Preisträger ist Peter Dürschinger (Dürschinger Architekten Partner mbB), der zuletzt auch mit dem BDA-Preis Bayern für den Wiederaufbau der Hofstelle Stiegler ausgezeichnet wurde. Das Hofensemble in Gonnersdorf im Landkreis Fürth, das auf den Anbau und die Verarbeitung von Haselnüssen spezialisiert ist, wurde 2014/15 durch einen Brand zerstört. Für Landwirt Fritz Stiegler war jedoch klar, dass er mit seiner Familie weiterhin hier wohnen und arbeiten wollte. Hier kam Dürschinger ins Spiel. In der Umgebung aufgewachsen und mit seinem Büro in Fürth ansässig, ist er mit den sparsamen Bauweisen und lokalen Handwerksbetrieben vertraut. Das Bauen aus der Materialität heraus ist für ihn ein typisches Merkmal ländlicher Architektur und prägt auch seinen Entwurf für Stieglers „FrankenGeNuss“. So kamen für den neuen Dreiseithof Fichtenholz aus dem eigenen Wald und wiederverwendete Sandsteine der ursprünglichen Stallbauten zum Einsatz. Das recycelte Hofpflaster wurde beim nahen Einkaufsmarkt besorgt.
Der Entwurf für das neue Ensemble besteht aus zueinander versetzten Giebelhäusern, regionaltypisch ohne Dachüberstand. Sie beherbergen den Hofladen sowie die Rösterei. Das neue Wohnhaus in Holzbauweise schließt den Innenhof zur Straße und macht die gesamte Bio-Kreislaufwirtschaft sichtbar, ohne den Bezug zum Ort zu verlieren. Der neue Hof wirke im Dorfgefüge so, als sei er schon immer da gewesen, lobte die Jury des Landbaukultur-Preises.

Bilder: Ben Buschfeld

Beispiel 2

Ein Herz für die Gemeinde
Dass die Gemeinde Gundelsheim bei Bamberg seit mehr als zehn Jahren in Städtebauförderungsprogrammen aktiv ist, geht auf das Engagement von Bürgermeister Jonas Merzbacher zurück. Mit verschiedenen Projekten setzt er sich für die städtebauliche und soziale Planung des oberfränkischen Ortes ein – immer unter Einbindung der Bürger*innen und mit hohem architektonischem Anspruch. Hierzu zählt auch die Neugestaltung des Ortskerns, der seit 2020 durch einen weiteren Baustein, die neue Bücherei, belebt wird. Mit dem Umbau und der Erweiterung des ehemaligen, ortstypischen Bauernhauses verfolgte Merzbacher das Ziel, „einen Kulturort und eine Integrationsschmiede“ zu schaffen. Den Wettbewerb für die Umsetzung dieser Idee gewannen Schlicht Lamprecht Kern Architekten. Das Büro beschäftigt sich besonders mit der Stärkung und Belebung von Ortsmitten. Durchhaltevermögen, Mut, Leidenschaft und Visionen auf allen Seiten sind aus Sicht von Mitbegründer Stefan Schlicht hierbei die wichtigsten Attribute. Jeder Ort benötige eine eigene Voruntersuchung unter Einbeziehung der Verantwortlichen der Gemeinden sowie Beteiligten vor Ort. So können Stärken und Herausforderungen sowie ein individueller roter Faden und Maßnahmen herausgearbeitet werden. Im Falle der Bücherei ist zum einen ein vielfältiger Treffpunkt entstanden, mit Räumen für Veranstaltungen und andere gemeinschaftliche Aktivitäten. Zum anderen wurde an dieser Stelle die sensible Struktur des Dorfes repariert.
Das ortsbildprägende Wohnstallhaus wurde erhalten und die Zweiseitstruktur durch die Erweiterung des historischen Gebäudes wiederhergestellt. Raumabfolgen und Strukturen im Inneren, kombiniert mit regionalen, natürlichen Materialien wie Putz und Holz: Es ist das Spiel mit Gewohnheit und Vertrautheit, das die Architektur prägt und sie von Beginn an zu einem festen Bestandteil des Ortes machte.

Beispiel 3

Bauen im richtigen Maß
Noch vor drei Jahren lebte Peter Zenker in Hannover, als der Architekt über eine Anzeige auf ein Grundstück aufmerksam wurde. Am Rande des 1.000-Seelen-Dörfchens Lüdersen gelegen, begeisterte es vor allem durch den unverbauten Blick in die Landschaft. Nach 15 Jahren in der Stadt war es für Zenker und seine Frau ein Privileg, hier ein Wohn- und Atelierhaus zu errichten. Das Miteinander auf dem Land sei vollkommen anders – ebenso die Solidarität, die sich auch im Bauen zeige bzw. zeigen sollte. Denn wie andere Dörfer hat Lüdersen längst die Aufmerksamkeit der Investoren erregt – mit fatalen Folgen: Eine alte Hofanlage im Ortskern wurde abgerissen. Hier sollen nun mehrgeschossige Wohnungsbauten entstehen, jedoch „ohne Sinn für das richtige Maß“, wie Zenker kritisiert. Mit einigen Bewohner*innen hat er eine Initiative gegründet. Sie setzt sich für eine Bebauung ein, die die Besonderheiten des Ortes zu schätzen weiß und sich in den Kontext integriert. Sein eigenes Haus folgt dieser Leitlinie, greift das Landschaftsbild über Blickbeziehungen auf und antwortet über seine Materialität auf den Genius Loci. Eine raue Putzfassade überzieht die Gebäude. Körnung und Farbe entwickelte der Bauherr auf Basis der ortstypischen Erde, die beim Bau sichtbar wurde. Wie es derweil im Ortskern weitergeht, bleibt abzuwarten. Zumindest habe man die Verwaltung inzwischen aufgerüttelt. Profit sei leider viel zu häufig die treibende Kraft, hier helfe nur langfristiges Engagement, um den Wert von lokaler Baukultur und Gemeinschaft zu vermitteln.