DATA & FACTS
EXKURS-16.11.2023
Damit wurde gebaut

Projekt Anger 7:

Fassade: weber.therm style Klebemörtel 2K für das Aufbringen der Keramikfliesen auf das WDVS

Neckarhofgebäude:

Fassade Aufstockung: weber.top 200 AquaBalance, Kornstärke 5 mm
Boden: weber.floor 4650 DesignColour

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Vertikale Nachverdichtung

Das Potenzial innerstädtischer Aufstockungen

Großes Potenzial für die innerstädtische Nachverdichtung bietet die Aufstockung und Nutzungsänderung von bestehenden Gebäuden. Laut einer Studie der TU Darmstadt aus dem Jahr 2019 könnten so insgesamt 2,4 Millionen zusätzliche Wohneinheiten entstehen. Dafür sind jedoch Anpassungen und Erleichterungen in den Landesbauordnungen erforderlich. Die Bundesarchitektenkammer (BAK) hat ihre Vorschläge in einer Muster-(um)bauordnung zusammengefasst und dem Bundesbauministerium vorgelegt. Bis sich diese in den Landesbauordnungen durchgesetzt haben, wird noch etwas Zeit vergehen. Dennoch sind in der Architekturlandschaft bereits eine zunehmende Sensibilität für den Erhalt der gebauten Umwelt und ein wachsender Pioniergeist zu beobachten.

Die bepflanzte Aufstockung

Ein landschaftsarchitektonisches Projekt mit Leuchtturmcharakter, das ökologische, kulturelle und historische Aspekte verbindet, steht in Hamburg kurz vor der Fertigstellung: die Aufstockung des denkmalgeschützten Hochbunkers in St. Pauli. Seit drei Jahrzehnten ist der 1942 erbaute Monolith dank seiner Mieterschaft aus der Kreativszene vor allem als „Medienbunker“ bekannt. Räume für Stadtteilkultur, Event- und Ausstellungsflächen, Unterkünfte für Stipendiat*innen und Künstler*innen, eine moderne Dreifeldhalle für Schulsport und Kulturveranstaltungen sowie ein Hotel werden in den neu errichteten Geschossen ihren Platz finden. Zudem entsteht ein Gedenk- und Informationsort für die Opfer des NS-Regimes. Das privat finanzierte Projekt entstand in enger Abstimmung zwischen der ausführenden Ingenieur- und Planungsgesellschaft „phase10“ aus Freiberg und dem Denkmalschutzamt sowie unter Einbindung der Bürger*innen. 16 hoch belastbare Verbundstützen tragen die massive Aufstockung, bestehend aus fünf pyramidenartigen Geschossen, und leiten die Lasten in die bis zu 4,5 Meter dicken Bunkeraußenwände. Von unten führt ein bepflanzter „Bergpfad“ an den Fassaden entlang zu den oberen Dachflächen mit einem öffentlich zugänglichen Stadtgarten. Durch seine Bepflanzung mit 4.700 Bäumen, Gehölzen und Sträuchern trägt der Bunker St. Pauli zur Klimaanpassung Hamburgs bei. Expert*innen der TU Berlin begleiten das Projekt und erheben mit etwa 80 Sensoren wertvolle Daten zu den Effekten der Begrünung. Die spektakuläre Aufstockung besitzt damit nicht nur Vorbildcharakter für die innerstädtische Nachverdichtung aus ökologischer Sicht, sondern auch auf sozialer Ebene, indem sie einen weiteren Grünraum in 58 Metern Höhe schafft.

Neue Wohnquartiere auf Supermärkten

Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Aufstockung von Lebensmittelmärkten und Discountern. Konsequent vorangetrieben, könnten allein dadurch 400.000 bis 700.000 Wohnungen entstehen, so die gemeinsame Deutschlandstudie der TU Darmstadt mit dem Eduard Pestel Institut und dem Institut für Leichtbau, Trockenbau und Holzbau. Das Bauprojekt Anger 7 in Erfurt zeigt dies anhand der Errichtung dreier freistehender Gebäude mit insgesamt 30 Wohneinheiten auf dem Flachdach eines Supermarktes. Sie sind Teil einer Mischnutzung aus weiteren Wohnungsbauten, einem Einkaufszentrum mit Tiefgarage und Büroflächen. Das Architekturbüro Stadermann – Architekten BDA aus Niederorschel schloss mit der innerstädtischen Nachverdichtung die Lücke zur historischen Bebauung am Anger, indem es die Bestandsgebäude denkmalgerecht sanierte und in die Planung integrierte.

Die Aufstockung wird geprägt durch die Fassadenbekleidung aus großformatigen, anthrazitfarbenen Keramikfliesen, die mit einem speziellen Klebemörtel auf ein Wärmedämm-Verbundsystem aufgebracht wurden. Die Architekten setzen damit auf den aufgestockten Geschossen die Fassadenoberfläche der unteren Stockwerke fort und schaffen auch eine Verbindung zum Innenraum des Supermarktes, der ebenfalls mit großformatigen Keramikfliesen gestaltet ist. Durch die lockere U-förmige Anordnung der Gebäude entsteht ein Innenhof als extensiv begrünter Dachgarten mit Bäumen, Büschen und Sträuchern.

Flexibel umbauen für die Zukunft

Ob Neubau oder Bestand – um eine lange Nutzungsdauer zu ermöglichen, sollten Gebäudegrundrisse möglichst flexibel geplant und errichtet werden. Das Berliner Architekturbüro Hütten & Paläste zeigt dies am Beispiel des Neckarhofgebäudes in Berlin-Neukölln. In dem ehemaligen Wirtschaftsbau waren Duschen, Umkleiden und Sozialräume für die Beschäftigten der Kindl-Brauerei untergebracht, die im Jahr 2005 geschlossen wurde. Während ein Teil der umgebenden Gebäude vor allem durch Kulturschaffende besetzt wurde, stand der besagte Bau zunächst leer.

Im Jahr 2015 erwarb schließlich die gemeinnützige Stiftung Edith Maryon das Gebäude und wandelte es mit Unterstützung von Frank Schönert und seinem Team von Hütten & Paläste zum eigenen Bürostandort um. Zunächst wurden die historischen, verbauten Grundrisse durch Rückbau sämtlicher Innenwände bereinigt. Die vorhandenen Bodenbeläge wurden teilweise erhalten und im Bereich der rückgebauten Innenwände ergänzt. Auf der freien Fläche wurden Funktionseinheiten mit Sanitär-, Kochbereichen und Lagerflächen platziert. In Kombination mit versetzbaren Holzwänden und eingestellten Möbeln mit Schiebetüren wird auf diese Weise eine große Varianz an Grundrissen eröffnet. Das Kellergeschoss ist nun durch das Platzieren von großen Belichtungsöffnungen als Werkstatt nutzbar. Um das Flächenpotenzial optimal auszunutzen, wurde der viergeschossige Bestand durch ein zusätzliches Dachgeschoss ergänzt. In Holzständerbauweise errichtet, ist es vollständig rückbau- und sortenrein trennbar. Verkleidet wurde die Aufstockung mit einem roten Kratzputz, der sich zur Straßenseite an der Verklinkerung des Bestands orientiert und auf der Rückseite deutlich von der an-sonsten weiß verputzten Fassade mit ihren vorgestellten Balkonen abhebt.