Julian Andreas Schoyerer

Das Potenzial des Stadtraums

Julian Andreas Schoyerer über sein Fahrradparkhaus in Mainz und die Rolle der stadträumlichen Qualität bei der Mobilitätswende.

Herr Schoyerer, bei Ihrer Architektur haben Sie immer einen hohen Anspruch an Alltagsqualität und Alltagskultur. Können Sie das näher erläutern?

Es geht um die Schaffung von Aufenthaltsqualität! Es ist die Aufgabe für uns Architekten, den gebauten Rahmen für das soziale Miteinander zu schaffen. Damit meine ich nicht nur den Wetterschutz, sondern auch Parameter wie Transparenz, Sichtverbindungen, schlüssige Wegeverbindungen und einen guten Luftwechsel. Ganz wichtig sind auch Aufenthaltsmöglichkeiten zum Sitzen, Stehen und Flanieren. Und nicht zuletzt spielt die visuelle Ansprache in Form von attraktiven Oberflächen, Lichtspielen, Farben und optischer Interaktivität eine große Rolle. Durch all das wird den Nutzer*innen ein Angebot gemacht, das unserer Erfahrung nach dankbar angenommen wird und Vandalismus vermeidet oder zumindest stark reduziert. 

Wodurch zeigt sich die Alltagsqualität im Falle des Fahrradparkhauses in Mainz?

Bei dem Fahrradparkhaus vor allem durch kurze Wege und die sinnvolle Verknüpfung von Bahn und Rad. Das ist zwar eher ein funktionaler als ein architektonischer Ansatz. Aber wir haben das enorme Potenzial dieses riesigen Unortes erkannt und ihn mit einer sinnvollen Nutzung versehen. Insofern ist uns die Alltagsqualität vor allem in stadträumlicher Hinsicht gelungen. 

Bild: Marc Nehrbaß

Es hat über dreizehn Jahre gedauert, bis Sie (endlich) mit der Planung beauftragt wurden. Warum?

Na ja, die Politik wartet selten darauf, dass ein Architekturbüro unaufgefordert mit einer Idee hereingeschneit kommt. Dem damaligen Bau- und Verkehrsdezernenten lagen außerdem bereits Pläne für ein Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof vor. Erst durch einen Wechsel im Verkehrsdezernat bekamen wir die Chance, unsere Idee erneut vorzutragen.

Was war – abgesehen vom Durchhaltevermögen – die größte Herausforderung bei diesem Projekt?

Das zögerliche Marketing der Stadt. Die Kampagne kam recht spät, sodass das Fahrradparkhaus zunächst nahezu leer war und sich erst nach und nach füllte. Bis heute ist vielen Mainzer*innen nicht bekannt, dass es dort kostenlose Stellplätze gibt.

Zeichnung: SCHOYERER ARCHITEKTEN_SYRA

Durch welche architektonischen Mittel ist Ihnen der erfolgreiche Wandel des Ortes gelungen?

Ich weiß gar nicht, ob man hier wirklich von Architektur im herkömmlichen Sinne sprechen kann. Es geht mehr um Elemente wie das Schaufenster direkt neben dem Bahnhofszugang, das Einblick in die Servicestation gewährt. Es geht um Farben, um die gelungene Fuge zwischen Bahnhof und Fahrradparkhaus, die als Hauptzugang funktioniert. Es gibt keine Enge, keine Angsträume, stattdessen Transparenz und frische Luft.

Bei vielen, insbesondere älteren Parkhäusern steht die Funktionalität oft über der Aufenthaltsqualität …

Ja und nein. Es gibt durchaus eine Reihe toller Parkhäuser aus den 1960er Jahren wie z.B. die Haniel-Garage von Schneider-Esleben in Düsseldorf. Natürlich sind diese Parkhäuser in die Jahre gekommen, weil die Autos immer größer wurden und die Fahrbahnen und Parkplätze nicht mehr breit genug waren. Leider ist die Mehrzahl der alten Parkhäuser aber grauenhaft und steht Pate für Bauten, für die man den Begriff „Angstraum“ entwickelt hat.

Bild: Jonas Klingenschmitt

Wie kann der Umstieg vom klassischen Pkw auf alternative Verkehrsmittel gelingen, und inwieweit kann die Architektur dazu beitragen?

Das Auto bedeutete nach dem Krieg Wohlstand und führte zur autogerechten Stadt. Und diese boomartige Entwicklung der Automobilität wäre ohne eine Straßenverkehrsordnung überhaupt nicht vorstellbar gewesen. Heute ist immer häufiger zu beobachten, wie Menschen, den Blick auf ihr Handy gerichtet, teilnahmslos über die Straße laufen. Ganz zu schweigen von den Elektrorollern und Fahrrädern, die rücksichtslos durch den Stadtverkehr gefahren werden. Für eine erfolgreiche Mobilitätswende sollte sich deshalb jedes Individuum immer als Verkehrsteilnehmer*in verstehen und das in der Praxis auch sozialverträglich umsetzen. Es geht weniger um Architektur, mehr um den Umgang mit dem Stadtraum. Indem wir ein Angebot mit einer gewissen Alltagsqualität schaffen, können wir den Menschen den Umstieg näherbringen.

Bild: Marc Nehrbaß

Zur Person

Julian Andreas Schoyerer ist Inhaber und federführender Architekt von SCHOYERER ARCHITEKTEN_SYRA, das aus dem Büro Schoyerer & Partner hervorging. Neben Verkehrsbauten plant das in Mainz ansässige Team auch Versammlungs- und Ausbildungsstätten, Büro-, Gewerbe- sowie Wohnungsbauten auf nationaler und internationaler Ebene.
www.schoyerer.de

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