Die Zukunft des Einfamilienhauses
Im 20. Jahrhundert war das Einfamilienhaus Traum einer ganzen Gesellschaft. Heute steht es aus ökonomischen und ökologischen Gründen in der Kritik. Anstatt weiterhin monotone Wohngebiete zu errichten, sind neue Ansätze gefragt.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Deutschland gezeichnet vom Mangel an Wohnraum, Geld, Essen und Arbeitskräften – Land dagegen war erschwinglich. Kommunen wiesen Bebauungsflächen aus, Banken unterstützten bei der Finanzierung. Bis heute ist die Zahl der Einfamilienhäuser auf 16,3 Millionen gewachsen. Ein Blick auf die vom Statistischen Bundesamt verzeichneten Baugenehmigungen im Jahr 2023 zeigt jedoch eine klare Tendenz: Waren es 2022 noch 78.100 genehmigte Häuser, sank die Zahl 2023 deutlich auf 47.600. Und auch die Wohntraumstudie 2023 der Interhyp AG bestätigt diese Entwicklung: 53 Prozent der Befragten gaben an, sich ein frei stehendes Einfamilienhaus zu wünschen – im Vorjahr waren es 64 Prozent. Grund dafür seien vor allem die aktuelle, von Coronapandemie über Energiekrise bis zum Ukrainekrieg belastete Situation, hohe Bodenpreise und Zinsen. Lebt der Traum vom Einfamilienhaus also immer noch? Die Antwort lautet: Ja, aber er muss sich wandeln.
Wie wollen wir leben?
Mit dem Besitz eines Einfamilienhauses verbinden die meisten Menschen bis heute Selbstverwirklichung, Individualität und Freiheit – Wünsche, die eng mit dem Bild der klassischen Kleinfamilie verknüpft sind. Abgesehen davon, dass sich dieses Bild nach und nach verändert, wird auch das Einfamilienhaus selbst zunehmend als Symbol eines klimaschädlichen Lebensstils gesehen. Böden werden versiegelt, Flächen ineffizient genutzt – vor allem, wenn die Kinder aus dem Haus sind. In Hinblick auf den vorherrschenden Wohnraummangel beschäftigen sich daher immer mehr Planende und Expert*innen innerhalb und außerhalb der Baubranche mit der Weiterentwicklung bestehender Einfamilienhausgebiete sowie der Gebäude selbst.
Wider den Donut-Effekt
Eine Lösung ist die Nachverdichtung, wie sie die Architekten Simon Jüttner und Sebastian Kofink, Inhaber des Buero Kofink Schels, in Bad Hindelang im Oberallgäu wählten. Auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück für sein Haus entschied Jüttner sich für die einstige Wählvermittlungsstelle im Ortskern. Der eingeschossige, verputzte Massivbau, zu diesem Zeitpunkt seit 40 Jahren leer stehend, war der „Schandfleck“ des Ortes und als abrissreif deklariert. Ein Zustand, der vor allem im ländlichen Raum weit verbreitet ist und zum Aussterben der Ortsmitten führt. In Bad Hindelang entschied man sich jedoch für den Weiterbau des Bestehenden. Das Gebäude wurde umgebaut und um ein zusätzliches Geschoss mit ortstypischem Satteldach aufgestockt. Ortstypisch ist auch die Fassade, die sich – unten weiterhin verputzt, oben mit Holz verkleidet – der Umgebung anschließt. Der dreiteilige Grundriss aus Küche, Wohnraum und Kammer im Erdgeschoss erinnert an das historische Allgäuer Flurküchenhaus. Das Obergeschoss lässt sich durch große, raumhohe Schiebefenster im Sommer zu einem überdachten Außenraum verwandeln.
Der Wunsch nach einem möglichst ökologischen und kostengünstigen Gebäude, das größtenteils in Eigenregie realisiert werden konnte, mündete in radikal reduzierten Details und Materialien. Während der raue Charakter des Altbaus unten noch spürbar ist, schaffen die Holzoberflächen im Obergeschoss eine warme Atmosphäre.
Bewusster Umgang mit Raum und Ressourcen
Ebenfalls um eine Nachverdichtung, jedoch in Form eines Neubaus handelt es sich beim Wohnhaus K18 von Till Robin Kurz. Das Gebäude steht im ehemaligen Fischerdorf Niehl, heute ein Stadtteil von Köln. Der einstige Charakter des Dorfes ist in den baulichen Strukturen vereinzelt noch erkennbar, wird aber von den wenig feinfühligen baulichen Maßstabssprüngen der letzten Jahrzehnte flankiert. Um dieser Spannung entgegenzuwirken, platzierte Kurz den fünf mal elf Meter messenden Neubau auf dem Grundstück eines einstigen Fischerhäuschens. Im Zuge seines Rückbaus wurden die Backsteine geborgen, gesäubert und für die Wiederverwendung zwischengelagert. Sie bilden nun die äußere Mauerschale des Neubaus sowie die Einfassung des Vorplatzes.
Das Raumprogramm für die dreiköpfige Familie orientiert sich zwar an zeitgemäßen Ansprüchen, reduziert den Wohnflächenbedarf jedoch auf ein Minimum von 92 m2. Der Großteil der Wände wurde dazu als raumhaltige Schale konstruiert, in die Kurz Sitzgelegenheiten und Einbauschränke integrierte.
Wohnend weiterbauen
Eine etwas andere Ausgangslage herrschte bei den Auftraggeber*innen des Berliner Büros c/o now. Auf der Suche nach einem neuen Wohnort hatten sie ein Grundstück an der Havel zwischen Potsdam und Brandenburg erworben. Der Wunsch, einen Neubau aus Sichtbeton zu errichten, brachte unter Berücksichtigung des Budgets eine Wohnfläche von gerade mal 70 m2 mit sich – im Vergleich zur ursprünglichen Berliner Wohnung ein Verlust. Die Architekt*innen von c/o now entwickelten daraufhin einen alternativen Vorschlag, der an die ausgebauten Gewächshäuser von Lacaton & Vassal erinnert: eine 200 m2 große Halle, die sich witterungsgeschützt bis zu einer Nutzfläche von 400 m2 auf zwei Ebenen ausbauen ließe. Der ungewöhnliche Vorschlag mit dem Titel „Where the Wild Morels Grow“ fand bei den Auftraggeber*innen Anklang. Aus vorgefertigten Elementen in Holzbauweise entstand eine wetterfeste, nicht klimatisierte Halle. Ihre Wände bestehen aus geschlossenen, opaken, transparenten und teilweise öffenbaren Industriebaustoffen. Für das Dach kamen Sandwichpaneele zum Einsatz. Zwei Schiebetore öffnen den Innenraum zum Garten, kleinere Öffnungen sorgen für Belichtung und Belüftung. Das eigentliche beheizte Gebäude wurde im Inneren der Halle nach dem Haus-im-Haus-Prinzip errichtet: Auf zwei Ebenen erstreckt sich nun ein 90 m2 großer Wohnraum mit Loggia, Terrasse und Indoor-Garten. Mit diesem „Basis-Setting“, wie die Architekt*innen es nennen, war der Bau des Hauses beendet. Gleichzeitig bildet es die Grundlage zum einfachen Aus- und Umbauen. Weitere Raumeinheiten können ohne Rückgriff auf komplizierte Bautechniken und aufwändige Abdichtungsmaßnahmen hinzugefügt oder weggenommen werden – je nach verfügbarem Budget, Bewohneranzahl oder Wohnwünschen. Das konventionelle Einfamilienhaus wird hier an der Havel zum Raum der Möglichkeiten, der Platz für neue Formen des Zusammenlebens bietet.