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EXKURS-01.10.2021
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Ruhrgebiet

Vom Kohlenpott zur Metropole Ruhr: Leben zwischen Industriekultur und Strukturwandel

Spätestens seit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park in den Jahren 1989 bis 1999 kennt man das Ruhrgebiet auch außerhalb von Essen, Dortmund oder Duisburg als großes Labor für städtebaulichen Strukturwandel. Neben moderner Infrastruktur, attraktiven Freizeiteinrichtungen sowie einer vielfältigen Kultur- und Kreativszene kann die Metropole Ruhr heute mit günstigen urbanen Wohnkosten punkten und mit einer langen Tradition im Bau von lebenswerten Siedlungen in einem attraktiven Wohnumfeld.

Arbeitersiedlungen – Siedlung Eisenheim

Arbeitersiedlungen sind auch heute noch, trotz Zechensterben und Strukturwandel, prägend für das Gesicht vieler Ruhrgebietsstädte. Mit dem Werkssiedlungsbau versuchten Stahl- und Kohleindustrie, die Arbeiter an sich zu binden und das Lohnniveau zu senken. Die Siedlung Eisenheim in Oberhausen gilt als älteste Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets und eine der ältesten überhaupt in Deutschland. Die seit ihrer Errichtung im Jahr 1846 übrig gebliebenen 38 Häuser stehen heute unter Denkmalschutz. Bei den schlichten Eisenheimer Haustypen war der „Mühlhauser Kreuzgrundriss“ zu einem Mustergrundriss für weitere Siedlungen im Ruhrgebiet weiterentwickelt worden: In den eineinhalbstöckigen Häusern sind die Eingänge so angeordnet, dass jede der vier Wohnungen von einer anderen Hausseite betreten wird. Die Siedlung erinnert mit ihrer dörflichen Struktur an die Heimat der Siedler und ihre Bindung zur Natur. Zu jeder Wohnung gehörten ein Garten und ein Stück Land für die Selbstversorgung. Typisch für die „soziale Architektur“ der Arbeitersiedlungen sind in Eisenheim die vielen internen Verbindungswege und die Offenheit der Siedlung als Zeichen für ein nachbarschaftliches Miteinander.

Margaretenhöhe, Essen, Arbeitersiedlung, Gartenstadt
Die Margarethenhöhe in Essen ist mit ihrem Gartenstadt-Charakter auch heute ein äußerst begehrtes Wohngebiet.

Gartenstadtidee – Siedlung Margarethenhöhe

Die denkmalgeschützte Essener Siedlung Margarethenhöhe ist eine der größten Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet und gilt als eine der schönsten Gartenstädte Deutschlands. Zu der sozialen Vision ihrer Stifterin Margarethe Krupp gehörte eine „klassenübergreifende“ Siedlung mit 1157 modernen Wohneinheiten und einem für die damalige Zeit noch untypischen Komfort mit Bad, WC und Zentralheizung. Der Reformarchitekt Georg Metzendorf setzte die Idee in 29 Bauabschnitten mit einem betont dörflichen Charakter um. Sein Konzept des zweigeschossigen „Kleinwohnhauses“ für die industrielle Kleinfamilie übt noch heute eine starke Anziehungskraft aus, nicht zuletzt wegen der romantischen Fassaden und der abwechslungsreichen Gestaltung. Im Gegensatz zu anderen Arbeitersiedlungen gleicht hier kein Haus dem anderen. Wie modern die Siedlung tatsächlich war, erkennt man daran, dass alle Leitlinien des heutigen Wohnungsbaus auf der Margarethenhöhe bereits bei ihrem Bau realisiert wurden: Maßvolle Verdichtung und Mischung der Funktionen, Infrastruktur wie Schulen, Konsum, Kirchen und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr waren schon damals Bestandteil der Planung.

Grachtenwohnungen – Innenhafen Duisburg

In Zeiten des Strukturwandels stellen sich andere Aufgaben für den Siedlungsbau. Eine davon ist die Rekultivierung der Industriebrache Duisburger Innenhafen, der seit den 1960er-Jahren seine einstige Bedeutung als zentraler Handelsplatz und „Brotkorb des Reviers“ verloren hatte. Der Masterplan des Londoner Architekturbüros Foster + Partners sah hier eine Kombination aus Arbeit und Wohnen, Kultur und Freizeit vor. Dies gelang durch die sensible Umwandlung und Sanierung von Mühlen- und Speichergebäuden zu modernen Kultur- und Gewerbeorten wie Museum Küppersmühle, Landesarchiv NRW oder Faktorei 21 sowie einem Wohngebiet an den neu erschaffenen Grachten auf der Südseite des Innenhafens. Entstanden ist ein völlig neues Stadtquartier, für das namhafte Architekturbüros eine vorbildliche und mit vielen Preisen ausgezeichnete Wohnungsbau-Architektur entwickelten. Die Zeilenbauten von Auer+Weber an der Hansegracht sind mit ihren Gründächern und einem Solarkraftwerk an den ökologischen Zielen der IBA Emscher Park ausgerichtet. Der Düsseldorfer Architekt Ingenhoven entwarf zwei streng gerasterte Gebäuderiegel aus vorgefertigten Holz- und Betonfertigteilen. Die Wohnhäuser von gmp Architekten an der Speichergracht nehmen mit ihren ziegelroten Terrakotta-Fassaden Bezug auf die historischen Speicherbauten. Gemeinsam sind allen Gebäuden die hochwertige Ausstattung der Wohnungen und die aufwendig gestalteten Außenanlagen.

Innenhafen Duisburg
In Duisburg befindet sich der größte Binnenhafen Europas. Neben Kränen und Speichern wird heute gewohnt.
Phönix-See, Dortmund, Wohnsiedlung, Industriebrache
In Dortmund entstand ein neues Quartier auf altem Industriegelände – samt See.

Urbanes Wohnen am See – Phoenix-See

Auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenstahlwerks Phoenix im Dortmunder Stadtteil Hörde entstanden ein Technologiepark in einer imposanten Industriekulisse sowie ein künstlich angelegter, 24 Hektar großer See. Das Areal um den Phoenix-See entwickelte sich schnell zu einem attraktiven Wohn- und Naherholungsgebiet und ist zu einem Symbol für die Transformation eines Industriestandorts zum mischgenutzten Stadtquartier geworden. Es entstanden 2.000 neue Wohneinheiten: Auf der Nordseite wurden die Grundstücke für Ein- und Mehrfamilienhäuser im Luxussegment vermarktet, auf der Südseite wurden Wohnhäuser mit höherer Dichte, Mehrfamilienhäuser mit Apartments und (wenigen) öffentlich geförderten Wohnungen sowie Bürohäuser mit Penthouse-Wohnungen gebaut. Ein attraktives Gastronomiekonzept mit Seeterrassen und einer Kulturinsel schafft eine neue urbane Qualität, die jedoch in dem alten Arbeiterstadtteil Hörde nicht nur Zustimmung findet: Es ist die Rede vom Verlust günstigen Wohnraums, aber auch vom Ärger über die zahlreichen Tagestouristen. Gelungene Umcodierung oder Gentrifizierung? Tatsächlich gibt es kaum eine Durchmischung mit dem neuen Stadtquartier. Aber das Ruhrgebiet wäre nicht die viel gepriesene Metropolregion der Vielfalt, wenn nicht Alt und Neu gut nebeneinander und irgendwie auch miteinander existieren könnten. Immerhin: Die Seeterrassen und der 3,2 Kilometer lange Uferweg mit den Parkanlagen auf dem Kaiserberg sind für alle da.

 

Weiterführende Links:

Geschichte und Gegenwart der Margarethenhöhe: https://www.margarethe-krupp-stiftung.de/die-margarethenhoehe/

Ein Projekt verschiedener Autoren zur Architektur im Ruhrgebiet: https://www.architektur-ruhr.de/