Beim vierten Round Table der Initiative Wertvolle Wand diskutierte Moderatorin Sandra Eberz gemeinsam mit ihren Gästen Nicola Halder-Hass (Verband für Bauen im Bestand e.V.), Peter Theissing (KS-ORIGINAL), Annelen Schmidt-Vollenbroich (NIDUS), Lillith Kreiß (UmBauLabor, Gelsenkirchen / Baukultur NRW) und Christian Poprawa (Saint-Gobain Weber) zum Thema „Repair“.
DATA & FACTS
EXKURS-13.10.2025
Round Table „Repair“

Teilnehmende

  • Annelen Schmidt-Vollenbroich, Architektin bei NIDUS
  • Christian Poprawa, Direktor Marketing Saint-Gobain Weber
  • Lillith Kreiß, Projektmanagerin des UmBauLabors in Gelsenkirchen von Baukultur NRW
  • Nicola Halder-Hass, Kunsthistorikerin, Denkmalpflegerin, Immobilienökonomin und Fachbeirätin für Denkmalpflege im Verband für Bauen im Bestand e.V.
  • Peter Theissing, Geschäftsführer KS-ORIGINAL
  • Sandra Eberz, Moderatorin

 

Eine Veranstaltung der Initiative Wertvolle Wand

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Vierter Round Table der Initiative „Wertvolle Wand“

Repair: Die Kultur des Reparierens

Abbruch und Neubau sind noch immer die Regel. Aber was wäre, wenn wir stattdessen einfach erhalten, weiterbauen, reparieren und aus dem Vorhandenen schöpfen? Welche Voraussetzungen bräuchten wir dafür? Und müssen wir erst (wieder) lernen zu reparieren? Mit diesen und weiteren Fragen setzte sich der vierte Round Table der Initiative Wertvolle Wand auseinander.

„Repair ist kein Bauprinzip, sondern ein Perspektivwechsel“, begrüßt Architektin und Moderatorin Sandra Eberz zu Beginn die Teilnehmenden, Nicola Halder-Hass, Lillith Kreiß, Annelen Schmidt-Vollenbroich, Peter Theissing und Christian Poprawa.

Sie alle vereint das Streben nach einer neuen Baupraxis, die bewahrt, zugleich aber auch mutig gestaltet. So unterschiedlich ihre Hintergründe sind, so vielfältig sind auch die Perspektiven.

 

Rückbesinnung auf Bewährtes

„Man muss zunächst mal am Mindset der Gesellschaft arbeiten“, so Nicola Halder-Hass, Kunsthistorikerin, Denkmalpflegerin, Immobilienökonomin und Fachbeirätin für Denkmalpflege im Verband für Bauen im Bestand e.V.. „Auch ein Bestand, der repariert wurde oder Spuren zeigt, kann einen Wert besitzen.“ Architektin Annelen Schmidt-Vollenbroich verweist daraufhin auf die Nachkriegsarchitektur, auf die sie sich mit ihrem Büro NIDUS spezialisiert hat. Die enorme bauliche Leistung, die in den Nachkriegsjahren erbracht wurde, fände heute kaum bis gar keine Wertschätzung, da die Gebäude oftmals nicht als „schön“ wahrgenommen würden.

Dabei lohne sich die Rückbesinnung auf die Vergangenheit, schließt Christian Poprawa, Direktor Marketing bei Saint-Gobain Weber und Mitgründer der Initiative Wertvolle Wand, an. So könne man bereits erprobte Techniken auf heutige Entwicklungen und Anforderungen übertragen. „Das Wissen über Baustoffe, Bauweisen und wie sie sich verhalten ist enorm wichtig“, bestärkt Peter Theissing, Geschäftsführer von KS-ORIGINAL und ebenfalls Mitgründer der Initiative. „Vor allem wenn es ums Reparieren geht, muss man sich erstmal darüber bewusst sein, dass etwas defekt ist oder in einen anderen Zustand versetzt werden sollte.“

Nicola Halder-Hass ist überzeugt, dass es zunächst mal einer Änderung des Mindsets in der Gesellschaft bedarf. Jeder Bestand sollte als erhaltenswert und Neubau nicht grundsätzlich als die bessere Lösung betrachtet werden.
Beim vierten Round Table der Initiative Wertvolle Wand diskutierte Moderatorin Sandra Eberz gemeinsam mit ihren Gästen Nicola Halder-Hass (Verband für Bauen im Bestand e.V.), Peter Theissing (KS-ORIGINAL), Annelen Schmidt-Vollenbroich (NIDUS), Lillith Kreiß (UmBauLabor, Gelsenkirchen / Baukultur NRW) und Christian Poprawa (Saint-Gobain Weber) zum Thema „Repair“.
Für Annelen Schmidt-Vollenbroich ist eine Reformation des Denkmalschutzes nötig, um auch die breite Masse an Bestandgebäuden, wie zum Beispiel die Nachkriegsarchitektur, zu erhalten.
Für Annelen Schmidt-Vollenbroich ist eine Reformation des Denkmalschutzes nötig, um auch die breite Masse an Bestandgebäuden, wie zum Beispiel die Nachkriegsarchitektur, zu erhalten.

Denkmalschutz neu denken

Neben dem „Was?“ und „Wie?“ stellt Lillith Kreiß, Projektmanagerin des UmBauLabors in Gelsenkirchen von Baukultur NRW, auch die Frage nach dem „Wer?“: Wer kann das Vorbild und Vorreiter*in für das Reparieren unserer Bestände sein?

Als Projektmanagerin des UmBauLabors in Gelsenkirchen, initiiert durch Baukultur NRW, ermittelt sie gemeinsam mit Akteur*innen aus Forschung, Praxis und Zivilgesellschaft Chancen, Ressourcen und Werte eines Gebäudes aus dem Jahr 1902. „Wir haben Elektro- und Heizungsleitungen abgeschaltet. An einigen Stellen wurden sie neu verlegt und bewusst auf Putz sichtbar gelassen“, erklärt sie. Denn was man sieht, könne man auch reparieren.

Eine weitere Voraussetzung sei auch der regionale Bezug, meint Nicola Halder-Hass. „Dort kann man eine ganze Menge Wissen über Materialien und Bauweisen finden.“ „Und das kann wiederum ein Hebel sein, um die Technik in unseren Gebäuden zu reduzieren – das und das grundsätzliche Hinterfragen unseres Komfortanspruchs“, ist Annelen Schmidt-Vollenbroich überzeugt.

Christian Poprawa verweist daraufhin auf die Problematik des Rechtsanspruches, den die Gesellschaft in Sachen Komfort habe. „Genau“, bestätigt Schmidt-Vollenbroich. „Das führt dazu, dass niemand mehr darüber nachdenkt oder hinterfragt, was er oder sie eigentlich in seinem Alltag so macht.“

Lillith Kreiß schlägt deshalb vor, in der Nutzungsphase eine Pflege- oder Reparaturverpflichtung einzuführen. „Dadurch werden Konstruktionen von Beginn an nicht nur ressourceneffizient, sondern auch reparaturfähig gedacht“, so Kreiß. „Und anstatt eines Abrissverbotes wäre meine Idee, den Denkmalschutz neu zu denken“, fügt Schmidt-Vollenbroich hinzu. Denkmalschutz könne auch als Instrument dienen, das die Nutzer*innen mehr Wertschätzung für das lehrt, was sie haben. Halder-Hass verweist an dieser Stelle auf die gängige Praxis in Frankreich, die mit verschiedenen Schutzstufen arbeitet. Auf diese Weise könne auch die breite Masse an Gebäuden mit kleinen, pragmatischen Eingriffen erhalten werden.

Eine wahrhaftige Nachhaltigkeit setzt für Lillith Kreiß nicht nur die Energieeffizienz in der Nutzungsphase, sondern auch die Betrachtung des Ressourceninputs voraus. Zugleich setzt sie sich für eine Pflege- oder Reparaturverpflichtung in der Nutzungsphase ein.
Die Leistungsphase 0 ist für Peter Theissing ein wichtiger Prozess, um den Wert eines Gebäudes zu ermitteln. Gleichzeitig plädiert er für die Verwendung von robusten, natürlichen und homogenen Baustoffen, die möglichst wartungsarm sind.
Die Leistungsphase 0 ist für Peter Theissing ein wichtiger Prozess, um den Wert eines Gebäudes zu ermitteln. Gleichzeitig plädiert er für die Verwendung von robusten, natürlichen und homogenen Baustoffen, die möglichst wartungsarm sind.

„Im Zweifel für den Angeklagten“

Peter Theissing bringt die Leistungsphase 0 ins Spiel: „Das könnte das ‚Herantasten‘ an den Bestand vereinfachen. Denn wir stellen fest, dass die Planenden beim Bauen im Bestand deutlich mehr Kontakt zu uns suchen. Grund ist, dass das detaillierte Wissen um technische und bauphysikalische Eigenschaften der verbauten Materialien meistens nicht vorhanden ist, geschweige denn dokumentiert wurde“, teilt er seine Erfahrung.

Nicola Halder-Hass pflichtet ihm bei: „Am Anfang steht deshalb auch immer gerne die Haltung ‚Das ist kaputt, das muss weg‘. „Stattdessen sollte es ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ heißen. Die Phase 0 kann dabei eine große Unterstützung sein. Man nimmt sozusagen die Spur des Gebäudes, seine DNA, auf.“

Christian Poprawa weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass hierfür die frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Architektur, Handwerk und Industrie sinnvoll sei. „Grundsätzlich sollten diese Akteur*innen enger zusammenrücken, um mehr Wissen zu bündeln.“

 

 

 

Christian Poprawa, Saint-Gobain Weber

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„Auch wenn Gebäude jahrzehntelang gestanden haben, sollten wir einen Werterhalt anstreben. Um solche Objekte zu schützen und einen Mehrwert für alle Beteiligten zu generieren, brauchen wir innovative Materialien, die langlebig und reparierbar sind.“

Zwischen Gesetz und Wertevermittlung

Die Regulatorik im Bauwesen – bereits regelmäßig bei den vorangegangenen Round Tables thematisiert – wird auch in dieser Diskussionsrunde wieder einvernehmlich als Hürde betrachtet.

„Die gesetzlichen Vorgaben gehen noch immer vom Neubau aus“, so Halder-Hass. „Stattdessen brauchen wir eine Bestandsbauordnung, die das Umbauen und Reparieren erleichtert.“ Lillith Kreiß verweist in diesem Zusammenhang auf die herrschende Verunsicherung bei der Verwaltung, wenn es darum gehe, Neues in Sachen Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz auszuprobieren.

Verstärkt wird diese Haltung durch die zuvor bereits angesprochenen Komfortansprüche der Nutzer*innen – eigentlich ein Widerspruch, wenn man betrachtet, wie umkämpft die heutigen Altbauten auf dem Wohnungsmarkt sind. „Es gab übrigens auch Zeiten, in denen auch Gründerzeitbauten nicht als schön oder wertvoll galten und abgerissen werden sollten“, erinnert Lillith Kreiß. Gleiches gelte heute für die Nachkriegsarchitektur, erklärt Annelen Schmidt-Vollenbroich, und Nicola Halder-Hass ergänzt: „Das Verständnis für Schönheit braucht in manchen Fällen eine sehr, sehr lange Zeit, und die richtigen Instanzen, um sie anhand gelungener Beispiele zu vermitteln.“

Wahrhaftige Nachhaltigkeit fördern

Positive Anreize für den Bestandserhalt durch entsprechende Förderprogramme zu schaffen, halten alle Expert*innen grundsätzlich für den richtigen Weg. Annelen Schmidt-Vollenbroich beanstandet jedoch den viel zu hohen Anspruch an die dafür notwendigen Maßnahmen. „Dadurch wird aus einer Bestandsanierung meistens eine komplette Kernsanierung. Das ist in vielen Fällen aber einfach zu viel. Man müsste auch eine Förderung haben, die kleinere Ansätze unterstützt.“ Lillith Kreiß schließt sich an und ergänzt: „Der Fokus der letzten Jahre lag auf der Energieeffizienz in der Nutzungsphase. Wenn wir wahrhaftige Nachhaltigkeit wollen, müssen wir den Ressourceninput mitrechnen, der dann auch in der Förderung anerkannt werden sollte.“

Die Rückbesinnung auf bewährte Bauweisen, Materialien und Techniken könne den Weg zu einer Reparaturkultur unterstützen, ist Christian Poprawa überzeugt. Architektur, Handwerk und Industrie sollten dazu enger zusammenarbeiten und ihr Wissen miteinander teilen.

Weniger Angst vor mehr Vertrauen

So viel Kritik die Teilnehmerrunde im Laufe des Round Tables übt, so optimistisch und ideenreich sind auch ihre Visionen für die nächsten zehn Jahre: Neben Bestandsbauordnung, der Reformation des Denkmalschutzes und einer Reparaturverpflichtung sehen die Beteiligten auch die baukulturelle Bildung und Architekturvermittlung als Schlüssel für eine Mindset-Änderung der Gesellschaft. Die Planung verlange interdisziplinäre Zusammenarbeit, eine umfassende Phase 0 inklusive Hinterfragen von Komfortansprüchen und Materialoffenheit. Und grundsätzlich gelte auf dem Weg zur Reparaturkultur: Weniger Angst vor mehr Vertrauen.