Teilnehmende
- Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, der Stiftung Deutsche Architekten und des Baukunstarchivs Nordrhein-Westfalen
- Fabian Viehrig, Leiter für Bauen und Technik beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW)
- Peter Theissing, Geschäftsführer KS-Original
- Jutta Albus, Professorin für Entwerfen und Konstruieren/Nachhaltiges Bauen an der Hochschule Bochum
- Christian Poprawa, Direktor Marketing Saint-Gobain Weber
- Dr. Tania Ost, Moderation
Eine Veranstaltung der Initiative Wertvolle Wand
Reduce: Die Kunst der Reduktion
Bauen ist zu komplex – eine Aussage, die längst nicht mehr zur Diskussion steht. Als Antwort darauf entstand in den letzten Jahren die Bewegung des einfachen Bauens, die Effizienz zugunsten einer langlebigeren und wertvolleren Architektur neu definiert. Voraussetzung ist jedoch, dass wir Bisheriges überdenken, ablehnen und reduzieren. Die bewusste Reduktion war Thema des dritten Round Tables der Initiative „Wertvolle Wand“ am 30. September in Essen.
„Wertvoll für wen?“, fragte Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, der Stiftung Deutsche Architekten sowie des Baukunstarchivs Nordrhein-Westfalen in seinem Eröffnungsstatement und spielte damit auf die Hintergründe der Initiative von KS-Original und Saint-Gobain Weber an. Gemeinsam setzen sich die beiden Unternehmen für ein neues Wertebewusstsein in der Baukultur ein.
„Das ist in der Tat eine wichtige Frage, die es zunächst mal zu klären gilt“, pflichtete Fabian Viehrig, Leiter für Bauen und Technik beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW), ihm bei. „Wenn wir über einen klassischen Wohnungsbau sprechen, haben wir in der Regel ganz verschiedene Generationen in unterschiedlichsten Lebensumständen sowie Mieterwechsel. Hier können wir nicht auf jeden Wunsch und erst recht nicht immer baulich reagieren.“
Er stellte deshalb in Frage, ob Wohnflächen immer auf das Minimum reduziert werden sollten. Stattdessen plädierte er für ausreichend Fläche, um Wohnraum möglichst flexibel und Gebäude entsprechend lange nutzen zu können.
Vom Kreis zur Ellipse?
„Wir müssen in diesem Zuge auch dringend von den bisherigen Abschreibungszyklen und veranschlagten Standzeiten wegkommen“, ergänzte Peter Theissing, Geschäftsführer von KS-Original. „Das hängt natürlich auch mit den Zertifizierungen, die gerade mal 50 Jahre umfassen, zusammen“, erklärte Jutta Albus, Professorin für Entwerfen und Konstruieren/Nachhaltiges Bauen an der Hochschule Bochum. Wäre der Zeitraum länger, würden auch massive Baustoffe, die schon von sich aus langlebig sind, in den Fokus rücken, so Albus. „Wir sprechen immer von Kreislaufwirtschaft. Ich frage mich, ob wir nicht besser von einer Ellipse sprechen sollten, um die Notwendigkeit der langen Lebensdauer deutlicher darzustellen“, führte sie weiter aus, was bei den übrigen Teilnehmenden großen Anklang fand.
Ökobilanzierung als Vereinfachungsinstrument
Christian Poprawa, Direktor Marketing bei Saint-Gobain Weber, lenkte das Gespräch daraufhin auf die Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung von Materialien und Bauweisen: „Es gibt nicht das eine Material oder die eine Bauweise, mit der wir all unsere Ziele erreichen. Wir müssen stattdessen bei jedem Projekt ganz individuell prüfen, was dafür am besten geeignet ist und dabei den gesamten Lebenszyklus im Blick haben.“ Die Ökobilanzierung betrachtete Markus Lehrmann als wichtiges Instrument hierfür: „Damit lässt sich unglaublich viel erreichen. Wenn jedes Gebäude nachweisen muss, dass es, auf eine gewisse Langfristigkeit betrachtet, einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck erreicht, dann habe ich eine Menge an Instrumenten für Einsparmöglichkeiten. Zudem halte ich die CO2-Bepreisung für sehr wichtig.“ Auf dem Weg zu mehr Einfachheit sei es für ihn deshalb nicht nur wichtig zu reduzieren, sondern an geeigneten Stellen auch zu erhöhen oder zu erweitern.
Gebäudetyp-e für Neubau und Bestand
Bereits über die Konstruktion eines Gebäudes lässt sich seine Ökobilanz beeinflussen. Auch hier könne man vereinfachen, indem man sich auf das zurückbesinnt, was früher schon gut funktioniert hat, brachte Peter Theissing ein. Nicht jedes Material müsse alles können. „Das sollte auch für das Gebäude gelten“, fügte Jutta Albus hinzu. „Das baurechtliche Regelwerk bewirkt, dass alle denken, die Baustoffe müssen viermal mehr leisten als eigentlich notwendig. Deswegen ist auch der Gebäudetyp-e so wichtig.“ Der Gebäudetyp-e soll es fachkundigen Bauherr*innen und Planenden ermöglichen, von bestehenden ordnungsrechtlichen Anforderungen abzuweichen, die über die in der Bauordnung festgelegten Schutzziele hinausgehen. Auftraggebende und Auftragnehmende könnten so vereinbaren, auf die Einhaltung von Komfort-Normen bzw. Standards, die nicht für die Wohnsicherheit notwendig sind, zu verzichten – und zwar ohne Haftungsrisiko für die Auftragnehmenden. Das gilt sowohl für den Neubau als auch für den Um- und Ausbau sowie die Instandsetzung von Bestandsbauwerken. „Gerade für den Bestand ist das sehr wichtig. Bei der Sanierung eines Altbaus musste man bisher nämlich so tun, als sei es ein Neubau“, ergänzt Markus Lehrmann.
Gebäudelogbuch für wertvolleres Planen und Bauen
„Beim Bauen im Bestand sehe ich vor allem die Problematik, dass wir meistens überhaupt nicht wissen, was genau hier verbaut wurde“, setzte Christian Poprawa die Diskussion fort. „Ich halte das Gebäudelogbuch in diesem Zusammenhang für sehr wichtig. Wenn wir es ernst meinen mit dem wertvollen und CO2-neutralen Planen und Bauen, dann muss man auch die graue Energie kennen,“ reagierte Markus Lehrmann. Fabian Viehrig warnte jedoch davor, dass dadurch ein weiteres Bürokratie- und Datenmonster entstehen könnte. „Außerdem muss das Logbuch ja auch über die gesamte Lebensdauer gepflegt und weitergeführt werden. Liegt diese Verantwortung beim Bauaufsichtsamt, bei den Bauherren oder bei einer anderen Instanz?“, wollte Viehrig wissen. Das sei in der Tat eine wichtige Frage, die man auch im nächsten Round Table zum Thema „Repair“ noch einmal diskutieren könne, schloss sich Christian Poprawa an.
Christian Poprawa, Direktor Marketing Saint-Gobain Weber
„Beim Bauen findet heute ein regelrechter Wettbewerb des Überbietens statt. Wertvoll zu Bauen bedeutet deshalb für mich, nur das bzw. mit dem zu bauen, was man auch wirklich benötigt.“
Nach über drei Stunden Diskussion waren sich alle Beteiligten einig: Reduktion führt nicht immer unmittelbar zu einer Vereinfachung. Vielmehr ist sie als Investition zu verstehen, um langlebigen, flexiblen und gestalterisch hochwertigen Lebensraum mit möglichst kleinem CO2-Fußabdruck zu schaffen. Den Gebäudetyp-e betrachteten die Expert*innen in diesem Zusammenhang als große Chance, um Innovationen anzustoßen und die Baubranche zu entbürokratisieren.