Prof. Henner Herrmanns ist Architekt in Vallendar bei Koblenz, Mitherausgeber des Buches „Das letzte Abendmahl – Umnutzung, Verkauf und Abriss von Kirchenbauten in Deutschland“ und bloggt seit 2010 auf www.herrmanns.wordpress.com über Kunst und Architektur.
Prof. Henner Herrmanns: Was macht einen guten Sakralbau aus?
Der Architekt spricht über sakrale und profane Bauten, einen einheitlichen Architekturstil, Umnutzung durch Kirchenschließung und die Zukunft des Sakralbaus.
Ist der Sakralbau die letzte Domäne des Architekten, bei der er noch bis ins letzte Detail Hand anlegen kann?
Noch in den 1950er Jahren gab es unter den Architekten große Namen wie Gottfried Böhm oder Rudolf Schwarz, die sakrale Bauten als Gesamtkunstwerke entwarfen, und zwar vom Städtebau bis zum Altartisch. Der Entwurf und der Bau einer Kirche ist natürlich für jeden Architekten eine schöne Sache, in diesen Zeiten aber keine häufige Bauaufgabe.
Was macht einen guten Sakralbau aus?
Bei Kirchenbauten ist die Form sehr speziell auf den Inhalt abgestimmt. Katholische Kirchen müssen eine bestimmte spirituelle Atmosphäre besitzen. Sie wurden immer „ad maiorem gloriam Dei“, also zur Verehrung Gottes gebaut. Das entscheidende Moment ist die Kategorie des Sakralen. Gemeint ist die besondere spirituelle Ausstrahlung eines Raumes, die die Erfahrung mit dem Numinosen, dem gestaltlos Göttlichen, ermöglicht. Dies macht die Qualität einer Kirche aus.
Was unterscheidet sakrale von profanen Bauten?
Der Sakralbau besitzt eine Bedeutungsträgerschaft, die an Ökonomie orientierte Bauvorhaben nicht haben. Es lässt sich feststellen, dass nahezu immer, wenn eine profane Nutzung in ein Kirchengebäude integriert wird, ein Missverhältnis von Form und Inhalt entsteht. Die Monofunktionalität ist deshalb einerseits Qualitätsmerkmal, anderseits jedoch von Nachteil bei der Umnutzung und Hindernis für ihre Vermarktung.
Gibt es noch einen einheitlichen Architekturstil, wie das früher in der Gotik oder im Barock der Fall war?
Die gotische Kathedrale war Ausdruck der höchsten Kulturleistung des christlichen Mittelalters. Die triumphalen barocken Inszenierungen der katholischen Kirche im 17. und 18. Jahrhundert waren Ausdruck und Stil der Gegenreformation. Einen solch einheitlichen Baustil gibt es in der Form nicht mehr. Der Kirchenbau ist geprägt durch die liturgischen Anforderungen und den sogenannten Zeitgeschmack. Statt Gebäuden mit formaler Kraft favorisiert man heute eher diakonische Potenziale. Neue Kirchen sind häufig schlicht und reduktionistisch. Ikonografische Bauten werden aufgrund des Säkularisierungsdrucks in der Gesellschaft schon seit langem nicht mehr akzeptiert.
Früher baute man Gotteshäuser an repräsentativen Standorten. Heute findet man Moscheen in Gewerbegebieten und städtebauliche Projekte, bei denen dem Sakralbau keine dominante Rolle mehr eingeräumt wird. Welchen Einfluss hat das auf die Architektur der Gebäude? Welchen auf unsere Städte?
Kirchen gehörten in der Vergangenheit zu den signifikanten Zeichen im europäischen Stadtbild und prägen noch heute die Silhouetten von Städten und Dörfern. Für den Europäer gehörte die Kirche mitten ins Dorf und der Dom in die Nähe des Marktplatzes. Dies hat sich im Zuge der Säkularisierung und Ökonomisierung unserer Gesellschaft grundlegend verändert. Welchen Stadtvätern fiele es wohl ein, ein wertvolles Citygrundstück für ein Kirchengebäude zur Verfügung zu stellen, wenn es auch als Shopping-Mall vermarktet werden kann. Es hat also ein tiefgreifender Wandel stattgefunden, weg von Kirchtürmen zu den neuen Kathedralen moderner urbaner Kultur.
Vor rund zehn Jahren ging eine Welle von Kirchenschließungen, Umnutzungen oder Abrissen durch das Land. Wie ist die Situation heute?
Angefangen hat das Kirchensterben in Westdeutschland eigentlich schon in den 1990er Jahren. 2006 war das Problem bereits eklatant. Hierzu haben wir ja seinerzeit „Das letzte Abendmahl – Umnutzung, Verkauf und Abriss von Kirchengebäuden in Deutschland“ herausgegeben, die Zusammenfassung eines Symposiums zu diesem Thema. Umnutzung, Verkauf und Abriss von Tausenden von Kirchen schreiten fort, nur haben wir uns daran gewöhnt, in den Medien ist es kaum eine Nachricht wert. Die sakrale Landschaft ist bereits in erheblichem Maße ausgedünnt worden. Da die Entfremdung eines Großteils der Bevölkerung bereits manifestiert ist, findet in der Gesellschaft kein großes Bedauern statt. Wie es scheint, nicht einmal von der Kirche selbst, die die Selbstsäkularisierung mit einigem Eifer betreibt.
Kirchen, Moscheen, Synagogen, weltanschaulich neutrale „Räume der Stille“ – Deutschlands spirituelle Vielfalt wird größer. Welche Entwicklungen erwarten Sie für den Sakralbau der Zukunft?
Wenn Hunderte von Kirchen aufgegeben werden, unterstützt dies natürlich den fortschreitenden Verlust unserer christlichen Identität. Die symbolische Funktion der Kirchen wird reduziert auf die Binnensicht, d. h. auf die geschrumpften gemeindlichen Bedürfnisse. Im Gegensatz dazu steht natürlich die Errichtung zahlreicher Moscheen in Deutschland, die nicht mehr bescheiden in Hinterhöfen, sondern wie beispielsweise in Köln recht repräsentativ daherkommen. Synagogen und Moscheen lassen sich jedoch nur bedingt als Sakralbauten beschreiben, denn es sind multifunktionale Gebäude und keine reinen Kulträume wie die katholischen Kirchen. Mit den „Räumen der Stille“ entsteht etwas ganz Neues, sakrale Räume, die den verschiedenen Religionen offenstehen, denn offenbar brauchen auch Zivilgesellschaften des 21. Jahrhunderts spirituelle Räume, um ihren profanen Lebensraum zu ertragen.